Unterwegs. The Longest Way

Leben und Tod auf Weibo

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Dies ist die Geschichte, wie ich einer der einflussreichsten Ausländer auf der chinesischen Mikroblogplattform Weibo wurde. Und wie ich darauf starb.

Christoph Rehages Konto auf Weibo

Ich eröffnete mein Konto im April 2011. Damals hatte ich automatisch ein Dutzend Follower. Ich schrieb eine Grußnachricht, drückte auf „Senden“ und wartete. Nichts passierte.

Vier Jahre später folgte ich fast 2.000 Leuten mit den unterschiedlichsten Hintergründen, und mehr als 800.000 folgten mir. Es war super. Es gab jedoch ein Problem: ich war kurz davor, einen virtuellen Tod auf Weibo zu sterben, ich wusste es nur noch nicht.

Ich hatte ein Konto eröffnet, denn ich schrieb Reisebücher über China, und ich wollte meine Bücher einem chinesischen Publikum bekanntmachen.

Buchladen in Peking

Also, I missed the place, and I figured this was a good way to keep in touch with the people there.

Außerdem vermisste ich das Land, und ich fand, dass dies ein guter Weg war, um mit den Leuten dort in Verbindung zu bleiben.

Die Regierung hatte die meisten ausländischen sozialen Medien gesperrt, also scharten sich die chinesischen Internetnutzer um ihre eigenen virtuellen Lagerfeuer, und Weibo war das größte davon. Es war riesig. Es schien, als ob jeder dort war, vom beliebtesten Kinostar bis zu dem Typ, der an der Straßenecke Baozi verkaufte.

Ausländer wie ich waren jedoch eher selten. Es gab ein paar Politiker und Stars, aber sie hatten ihre PR-Leute, die das Posten für sie übernahmen. Außerdem gab es die „Made In China“ Ausländer, die dort schon bekannt waren, weil sie im Fernsehen mit ihren Chinesischfähigkeiten herumprotzten. Ich entschied, es nicht zu kompliziert zu machen und einfach darüber zu sprechen, was ich am besten kannte: Reisen und Photographie.

Damals war Weibo ein Ort von fast unglaublicher Ausdrucksfreiheit. Es schien, als ob die Zensoren immer einen Schritt hinter allen anderen zurücklagen. VIPs mit Millionen von Followern verbreiteten Nachrichten und Kommentare über das Netz, und sobald der ursprüngliche Post gelöscht oder „harmonisiert“ wurde, wie die Internetnutzer es nannten, kamen Hunderte andere, die ihn wieder hochluden.

Zensurbenachrichtigung auf Weibo

Die Leute wandten sich an Weibo als Nachrichtenquelle, die nicht nur schneller, sondern auch verlässlicher war als die offiziellen Medien.

Auf mich wirkte es ein bisschen wie die Büchse der Pandora: die Regierung hatte ihren Internetnutzern erlaubt, sich über Themen wie Essen oder das Wetter auszudrücken, und nun redeten viele von ihnen stattdessen über Politik. Und nicht nur auf Weibo.

Als ich im Jahr 2005 zum ersten Mal in China ankam, waren die Leute zögerlich, an öffentlichen Orten sogenannte „sensible Themen“ zu berühren.

Seit es Weibo gab, änderte sich dies jedoch. Die Menschen hatten gelernt, dass es okay war, eine Meinung zu haben und diese mit anderen zu teilen. Die Büchse war geöffnet, und es sah aus, als ob die Regierung sie nie wieder würde zumachen können.

Christoph Rehage mit Dou Wentao und Liang Wendao

Ich wurde früh in die Auseinandersetzung hineingezogen. Als die Leute herausfanden, dass ich, Leike, ein echter Deutscher war, begannen sie, mir Fragen zu stellen: arbeiteten Deutsche wirklich nur 178 Tage im Jahr? Stimmte es, dass wir in der U-Bahn Literatur lasen? Und warum hatten wir ein spezielles Küchenwerkzeug für jeden einzelnen Arbeitschritt beim Kochen?

Viele dieser Fragen hatten mit einem bestimmten Problem zu tun: Chinesische Internetnutzer waren vom Rest der Welt durch mindestens zwei Hindernisse getrennt, wovon das erste die sogenannte „Great Firewall“ war, die sie von ausländischen Internetseiten abschottete, und das zweite die Sprachbarriere – viele von ihnen waren nicht gut genug in Fremdsprachen bewandert, um ihren Weg durch die Informationen zu finden, die es dort draußen gab.

Ich begann, auf Weibo populär zu werden, nachdem ich mich entschlossen hatte, diese Fragen öffentlich zu beantworten. Den Leuten gefiel die Idee, mich als Ausländer erster Hand zum Reden zu haben.

Nach einer Weile hatte ich etwa 100.000 Follower, eine regelmäßige Kolumne in einer großen Zeitung und einen chinesischen Verlag, der sich um meine Bücher kümmerte. Alles lief sehr gut, und ich begann, über Dinge außerhalb von Deutschland zu reden. Über chinesische Geschichte zum Beispiel. Und über aktuelle Themen.

800 Bücher unterschreiben

Ich war mir darüber im Klaren, dass meine Ansichten weder besonders neu oder aufregend waren. Ich war schließlich ein typischer deutscher Grünenwähler: ich fand, dass Umweltschutz wichtig war, und ich schätzte den Rechtsstaat, die Demokratie und die freie Meinungsäußerung die wir in Deutschland hatten. Ich versuchte, diese Dinge so oft es ging zu befürworten, denn ich fand, dass sie gut für China sein würden.

Natürlich war nicht jeder auf Weibo meiner Meinung. Manchmal geriet ich mit sogenannten „Wumao“ aneinander, mit Nutzern, die angeblich Geld dafür bekamen, nette Sachen über die Regierung zu sagen. Manchmal geriet ich mit Neomaoisten aneinander, mit Leuten, die die „soziale Gerechtigkeit“ der Maozeit wieder zurück wollten. Und manchmal geriet ich sogar mit chinesischen Neonazis aneinander, so seltsam sich das anhören mag.

Zu meinem Glück entdeckte ich an einem bestimmten Punkt die magische Kraft der Ironie. Ich begann, mich dabei zu filmen, wie ich direkt in die Kamera sprach, und dabei versuchte ich, die Nachrichten auf möglichst absurde Weise zu verdrehen und die chinesische Regierung gutaussehen zu lassen. Ich nannte mich „Deutscher Ziganwu“, was unterstellte, dass ich ein importierter „Wumao“ war, der keine Bezahlung für seine Dienste verlangte.

Die "Deutscher Ziganwu" Serie

Natürlich war ich zutiefst sarkastisch, und vielen Leuten gefiel es. Die Zahl meiner Follower wuchs.

In der Zwischenzeit war die Regierung damit beschäftigt, einen Weg zu finden, um mit der Büchse der Pandora fertig zu werden. Sie begann, eine soziale Medien-App namens Weixin (Wechat) zu bewerben, in der die Leute ihre Posts nur noch mit ihren Freunden teilen konnten, anstatt wie auf Weibo mit möglicherweise Millionen von Leuten.

Dann entfernten sie viele der einflussreichsten Nutzer auf Weibo. Ohne diese VIPs verlor die Plattform viel von ihrer Anziehungskraft, und viele Leute zogen sich in die gefühlte Sicherheit von Weixin zurück. Ich hatte dass Gefühl, dass die Luft um mich herum dünn wurde.

Es hatte schon lange Leute gegeben, die mich gewarnt hatten. Immer, wenn ich etwas sagte, dass sie problematisch fanden, dann erklärten sie mir, dass ich eines Tages endgültig „harmonisiert“ werden würde. Ich ging nie auf diese Warnungen ein, denn ich hatte ein Prinzip: wenn ich als deutscher Bürger damit begann, mich selbst zu zensieren, wie konnte ich dann von ihnen als Chinesen verlangen, dass sie sich frei äußerten?

Und dann geschah es.

Eines Tages geriet ich in einen Streit über eine legendäre Volksheldin und über einen Modellsoldaten der Maozeit, und ich schlug vor, dass der eine die andere doch schwängern könnte. Ein zugegebenermaßen appetitloser Scherz, und eine Gelegenheit, auf die manche Leute händeringend gewartet hatten.

Witz über Lei Feng und Hua Mulan

Ein zugegebenermaßen appetitloser Scherz, und eine Gelegenheit, auf die manche Leute händeringend gewartet hatten.

Sie kamen mit allem, was sie hatten. Im Versuch, meine Glaubwürdigkeit zu beschädigen und einige der chauvinistischen Tendenzen unter chinesischen Internetnutzern zu mobilisieren, behaupteten sie, ich sei in Wirklichkeit kein Deutscher, sondern ein Türke, der von Dissidenten gekauft worden war, um Teile aus dem chinesischen Mutterland herauszubrechen. Ich bekam eine Flut von Hassmails.

Dujiawangs Angriff

Der Redakteur der Zeitung, in der ich meine Kolumne hatte, erklärte mir, es täte ihm sehr leid, aber sie müssten aufhören, mit mir zusammenzuarbeiten. Am nächsten Tag war alles, was ich jemals für sie geschrieben hatte, verschwunden.

Dann kamen die Kerzen.

Einer nach dem anderen posteten die Leute Emoticons von brennenden Kerzen in meinem Kommentarbereich.

Brennende Kerze auf Weibo

Im chinesischen Internet ist eine Kerze etwas, dass man postet wenn sich eine Tragödie abgespielt hat und man sein Mitleid zeigen möchte. Jemand hat sich umgebracht und Du weißt nicht, was Du sagen sollst? Poste eine Kerze!

Ich machte weiter meine Videos, und die Kerzen kamen weiter. Sie waren da, um meinen virtuellen Tod anzukündigen.

Am Anfang starb ich noch nicht. Ich war nur stummgeschaltet, das hieß ich konnte noch Dinge posten, aber fast niemand konnte sie mehr sehen.

Ich reagierte, indem ich den Hintergrund meiner Seite täglich austauschte. Das konnten die Leute nämlich noch sehen. Am ersten Tag malte ich eine „1“ darauf, am zweiten eine „2“, und so weiter.

Weibo Hintergrund täglich gewechselt

Dies machte ich einen Monat lang.

Dann geriet einer meiner Posts irgendwie durch auf Weibo, und die Leute konnten ihn genauso sehen wie früher. Ich bekam Hunderte von Kommentaren, die mich dazu beglückwünschten, wieder unter den Lebenden zu sein. Vielleicht würde ich doch nicht sterben müssen, dachte ich. Doch ich irrte mich.

Ein paar Tage später konnte ich mich nicht mehr in meine Konto einloggen, und jede Spur von mir auf Weibo war verschwunden. Es war, als hätte ich niemals existiert.

Konto auf Weibo gelöscht

Ich war virtuell gestorben (auf zugegebenermaßen niedliche Art).

Wenn so etwas passiert, dann ist die natürliche Reaktion Selbstzweifel. Ich fragte mich, was genau ich falsch gemacht hatte, und es wurde erst besser, als ich erkannte, dass ich Teil einer „Harmonisierungswelle“ war, der Dutzende von zweitklassigen VIPs wie ich zur gleichen Zeit zum Opfer gefallen waren.

Trotzdem war ich traurig. Bis mich eines Tages eine deutsche Freundin und Sinologin anschrieb.

„Was ist aus deinem Weibo geworden?“ fragte sie.
„Harmonisiert,“ antwortete ich.
„Naja,“ sagte sie: „spricht für Deinen Einfluss und Deine Qualität!“

Ja, dachte ich. Die Regierung war mit dem Versuch beschäftigt, den Deckel zurück auf die Büchse der Pandora zu bekommen. Vielleicht würde es ihnen gelingen, vielleicht aber auch nicht.

"Leike" in einen Baum eingeritzt

Doch niemals würden die Menschen die Zeit vergessen, als die Büchse weit geöffnet war, und jeder in China über alles gesprochen hatte.

Und ich war froh, ein kleiner Teil davon gewesen zu sein.

Eine Zusammenstellung der Videos, mit denen alles anfing (auf Chinesisch):

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